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Eishockey: Chris McSorley – Der Sturz des letzten Bandengenerals

Lugano?s Head Coach Chris Mcsorley, during the preliminary round game of National League A (NLA) Swiss Championship 2022/23 between HC Lugano against LHC Lausanne, at the Corner Arena in Lugano, Satur ...
Er musste am Samstag seinen Hut nehmen: Chris McSorley wurde bei Lugano entlassen.Bild: keystone
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Der Sturz des letzten Bandengenerals – oder wenn die Spieler zu mächtig sind

Die Karriere von Chris McSorley (60) als Coach ist zu Ende. Die interessanteste Frage nach seiner Entlassung in Lugano: Kann sich Sportchef Hnat Domenichelli (46) halten?
08.10.2022, 20:36
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Auch Chris McSorley hat es erfahren: In Lugano sind die Spieler immer grösser als der Trainer. Manche sagen: grösser als der Klub.

Nach aussen, gegenüber all jenen, die nicht mit ihm zusammenarbeiten, wirkt das Charisma des Kanadiers nach wie vor. Er ist charmant, höflich und versteht es, seinem Gesprächspartner das Gefühl zu vermitteln, die wichtigste Person zu sein, die er je im Leben kennengelernt hat.

Aber in der Kabine hat sein Charisma nicht mehr gewirkt. Der letzte der grossen Bandengeneräle ist einer «Palastrevolte» zum Opfer gefallen. Einem Spieleraufstand.

HC Lugano Players reagieren nach der Niederlage (7-3), beim Eishockey Meisterschaftsspiel der National League zwischen dem SC Bern und dem HC Lugano, am Freitag, 7. Oktober 2022, in der PostFinance Ar ...
Ihnen passte der Trainer nicht mehr: Die Spieler des HC Lugano nach dem 3:7 in Bern.Bild: keystone

Wobei: Aufstand ist ein gar martialisches Wort. Die Sache ist schon etwas subtiler gelaufen.

Samstag, 1. Oktober. Lugano spielt in Biel. Am Vortrag haben die Tessiner auf eigenem Eis kläglich gegen Kloten 4:5 verloren. Der bisher einzige Sieg des Aufsteigers. Also ist die Partie in Biel nun von besonderem Interesse. Der Chronist reist nach Biel. Ihn interessiert: Wackelt Luganos Trainer?

Sportchef Hnat Domenichelli ist auch nach Biel gefahren und hat Zeit für einen Schwatz. Ganz offensichtlich unterschätzt er die Situation. Er sagt, der Trainer werde nicht entlassen. Er sagt es nicht einfach so, weil sich das gegenüber einem Chronisten so gehört. Er meint es auch so. Mit gutem Grund. Er sagt nämlich noch etwas: «Wenn Chris gehen muss, dann steht auch mein Job auf dem Spiel.» Er ist seit 2019 im Amt. Grundsätzlich gilt: Ein Sportchef muss erst nach dem dritten Irrtum in der Trainerwahl um den Job bangen. Chris McSorley ist nach Sami Kapanen und Serge Pelletier sein dritter Irrtum.

Hnat Domenichelli, GM-Head Of Sports & Competitions, an der Vorsaison-Medienkonferenz des HC Lugano auf dem Schiff "Lugano", am Mittwoch, 4. September 2019, in Lugano. 
(KEYSTONE/Ti-Pres ...
Hnat Domenichelli.Bild: KEYSTONE/Ti-Press

Lugano gewinnt in Biel 3:0. Es ist das bisher schwächste Saisonheimspiel der Bieler und Mikko Koskinen ist ein Weltklassegoalie. Captain Mark Arcobello, letzte Saison noch Topskorer, hat allerdings nach wie vor keinen einzigen Punkt produziert. Chris McSorley sagt nach dem Spiel, das sei kein Problem. Alles sei in bester Ordnung. Die fehlenden Skorerpunkte stünden zwar wie ein Elefant im Raum. «Aber das Beste ist, nicht darüber zu reden. Ich lasse ihn jetzt in Ruhe.» Tatsächlich gewährt er ihm über 18 Minuten Eiszeit.

Luganos Sportchef hat noch ein überzeugendes Argument für eine angeblich starke Position seines Trainers: Wenn die Spieler wirklich gegen den Trainer wären, hätten sie das Derby in Ambri verloren. Dort aber strengten sie sich an und gewannen 4:1. Na also.

Lugano's player Mark Arcobello, during the preliminary round game of the National League 2022/23 between HC Lugano and EHC Kloten at the ice stadium Corner Arrena, Friday, September 30, 2022. (KE ...
Wartet noch immer auf einen Skorerpunkt in dieser Saison: Mark Arcobello.Bild: keystone

Was er allerdings bei der Beurteilung dieses Sieges aus eigener Erfahrung hätte wissen müssen (er spielte sowohl für Ambri als auch für Lugano): Das Derby will jeder gewinnen. Egal, wer Trainer ist. Da steht einfach zu viel Ehre auf dem Spiel.

Das Engagement von Chris McSorley ist die Idee von Hnat Domenichelli. Sozusagen sein Meisterstück. Es war keine schlechte Idee. Hatte der Kanadier denn nicht in Genf mit unzulänglichen sportlichen Mitteln mit zwei verlorenen Finals ein Optimum herausgeholt? Und mit Servette zweimal den Spengler Cup gewonnen? Müsste einer wie Chris McSorley denn nicht in der Lage sein, mit Lugano Meister zu werden? Eben.

Die Idee war gut. Kritik ist hinterher billig. Was Luganos tüchtiger Sportchef nicht wissen oder höchstens ahnen konnte: Chris McSorleys Führungsstil ist doch nicht mehr zeitgemäss.

Lugano?'s head coach Chris Mcsorley reacts during the friendly match between HC Lugano and HC Innsbruck at the ice stadium Corner Arena in Lugano, Switzerland, on Saturday, 27 August 2022. (KEYST ...
Als Bandengeneral passt McSorley nicht mehr so richtig in die Zeit.Bild: keystone

Der Kanadier ist der letzte grosse Bandengeneral. Sein autoritärer Führungsstil – ich befehle, also bin ich – hat in Zeiten der Festnetztelefone funktioniert. Auch deshalb, weil Chris McSorley nie ein Team mit vielen Alphatieren führen musste. Er hatte ja nie Geld für mehrere Starspieler. Die Mehrheit in der Kabine hatten in Genf die Hinterbänkler und die parierte immer. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Gehorchen oder gehen – und gehen ist für Hinterbänkler stets mit Mühsal verbunden.

Der Umgang mit der Smartphone-Generation kann Führungspersonal mit autoritärem Stil überfordern. Heute werden Fragen gestellt und Antworten verlangt. Aber nicht im Befehlston. Chris McSorley war nicht immer dazu in der Lage, die richtigen Antworten im richtigen Ton zu geben.

«So hat McSorley die Mehrheit in der Kabine verloren. Die Leitwölfe gegen sich und nicht genug Hinterbänkler, die gehorchen müssen.»

Kommt dazu: Lugano hat viele selbstbewusste Leitwölfe. Sie leiten zwar nicht immer so wie sie leiten sollten, aber sie verdienen wie Leitwölfe, haben das Selbstbewusstsein von Leitwölfen und sind im Klub und im Umfeld bestens vernetzt. In Lugano sind die Spieler immer grösser als der Trainer. Und so hat seit dem letzten Titel von 2006 kein Trainer mehr glücklich das Ende seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit erreicht. Nicht einmal Patrick Fischer.

Und so hat Chris McSorley die Mehrheit in der Kabine verloren. Die Leitwölfe gegen sich und nicht genug Hinterbänkler, die darauf angewiesen sind, gehorchen zu müssen.

Ist Chris McSorley auch hockeytechnisch gescheitert? Ja und Nein.

Genf, 03.10.2015, Eishockey NLA, HC Genf Servette - HC Davos, Genfs Trainer Chris McSorley (Robert Hradil/EQ Images)
Lange war McSorley der starke Mann bei Servette-Genf.Bild: EQ Images

Nein, weil er ein fleissiger Trainer ist, akribisch nach den Wahrheiten in diesem unberechenbaren Spiel sucht und die Fähigkeiten seiner Spieler sehr gut einschätzen kann. Als er Servette noch als Sportchef und Trainer führte, sind ihm wenig Transfer-Irrtümer unterlaufen und bei der Rekrutierung der Ausländer war er einer der Besten der Liga. Er verfügt über ein exzellentes internationales Beziehungsnetz.

Ja, weil er die Entwicklung des Eishockeys zum «totalen» Spiel unterschätzt. Er hat sich taktisch nicht weiterentwickelt. Im Fussball wird seine bevorzugte Spielart «Kick and Rush» genannt. Das ist auch die DNA seines Spiels: Zweikämpfe gewinnen, Scheibe in die gegnerische Zone schiessen und wenn nötig halt auch aus der eigenen Hälfte einen Schuss auf den Torhüter wagen. Muss er die Scheibe blockieren, gibt’s ein Bully vor dem gegnerischen Tor. Gut strukturiertes Rumpelhockey.

Zu viele Spieler haben sich darüber beklagt, dass unter Chris McSorley keine Weiterentwicklung möglich sei. Hnat Domenichelli hätte auffallen können, dass Alessio Bertaggia auf diese Saison wegen Chris McSorley nach Genf gewechselt hat und Elia Riva aus dem gleichen Grund schon wieder den Markt sondiert.

Geneve-Servette's forward Alessio Bertaggia looks his teammates, during a National League regular season game of the Swiss Championship between Geneve-Servette HC and HC Lugano, at the ice stadiu ...
Wechselte aus Lugano nach Genf: Alessio Bertaggia.Bild: keystone

In Lugano hat niemand gegen den Trainer gespielt. Das war gar nicht nötig. Die Chronistinnen und Chronisten stehen bei keinem anderen Klub den Spielern so nahe wie in Lugano. Jeder und jede will auch ein wenig vom Sternenstaub des Ruhmes der Spieler auf seinem Haar glitzern lassen. Die Polemik der letzten Tage gegen Chris McSoley in den buntscheckigen Tessiner Medien ist kein Zufall: Die Spieler haben die Medien sozusagen lanciert.

Hnat Domenichelli ahnte wohl, dass sich etwas zusammenbraut. Er hat im kleinen Kreis erzählt, er habe sich nach der Niederlage gegen Kloten in einer Nebenkabine bis nach Mitternacht mit einem Nachwuchstrainer unterhalten. «Das mache ich oft und wir haben bei einem Bierchen über Hockey philosophiert.» Als er nach Mitternacht nach Hause gegangen sei, habe im Kabinengang noch immer ein Chronist ausgeharrt. Wohl in der Annahme, dass etwas passieren könnte, wenn der Sportchef so spät noch im Stadion ist.

Aber letztlich steht die Wahrheit oben auf der Resultat-Tafel: letzte Saison bloss Rang 9 und im Viertelfinal völlig chancenlos gegen Zug. Und nun trotz eines ausländischen Weltklassegoalies nur Platz 10 und vor der Verbannung in die «Kellermeisterschaft» um die Ränge 12, 13 und 14. Das ist einfach nicht gut genug mit dieser Mannschaft. Auch jeder andere Trainer wäre mit diesen Resultaten in die Bredouille geraten.

Berns Dominik Kahun, rechts, schiesst ein Tor 2-1 gegen Luganos Torhueter Mikko Koskinen, links, beim Eishockey Meisterschaftsspiel der National League zwischen dem SC Bern und dem HC Lugano, am Freit ...
Auch Mikko Koskinen konnte die 3:7-Niederlage gegen Bern nicht verhindern.Bild: keystone

Wie geht es weiter? Chris McSorleys Karriere als Coach ist in der National League zu Ende. Er kann sich erst einmal intensiv mit Vermögensverwaltung beschäftigen: Sein Vertrag mit Lugano läuft noch bis Ende der nächsten Saison und auch in Genf ist noch eine Abgangsentschädigung in der Höhe von gut sieben Millionen hängig. Als Sportmanager ist sein Ruf tadellos und in Sierre arbeitet er ja bereits seit gut einem Jahr mit Schweizer Investoren an einem Stadionprojekt. Nun hat er mehr Zeit für dieses sicherlich gut bezahlte Mandat.

In Lugano geht es so weiter wie bisher. Lugano ist und bleibt eine der besten Hockey-Adressen in Europa. Der einzige Ort in Europa, wo unter Palmen hochklassiges Hockey gespielt wird. Zu viel Sonne, zu viel Geld, zu viel Glamour, um in diesem rauen, unberechenbaren Spiel erfolgreich zu sein.

Hnat Domenichelli hat zwar intern erklärt, im Falle einer Entlassung werde man bis Saisonende eine interne Lösung suchen. Aber es ist eigentlich unerheblich, ob es eine interne oder eine externe Lösung gibt: An der DNA des Klubs ändert sich nichts. Diese DNA prägt die Spieler. Bei keinem anderen Klub sind sie so mächtig wie in Lugano.

Die Frage ist nicht, ob auch Chris McSorleys Nachfolger gefeuert wird. Die Frage ist nur, wann.

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quelle: keystone / ennio leanza
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45 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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#schwizer12
08.10.2022 21:43registriert April 2018
Hoppla... Für mich doch eher überraschend...
Habe gedacht dass es den Fust Johnny bei 🤑🤑🤑Lausanne🤑🤑🤑 eher erwischt...
413
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Zum Kommentar
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Dan Rifter
08.10.2022 21:09registriert Februar 2015
Oder:
2022 haben Spieler keine Lust mehr auf einen Dinosaurier-Führungsstil, auf die Spielchen, das Mobbing und die Manipulationen.

McSorley hat in seiner zu langen Karriere manchen Spieler kaputt gemacht - physisch, wie psychisch.
4621
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Jacques #23
08.10.2022 20:56registriert Oktober 2018
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